19.06.2020, Medienmitteilung

Spektakuläres Pilotprojekt mit seltenen Schweinen

Im ehemaligen Schlammweiher der Kibag AG in Edlibach hat Anfang Monat ein einzigartiges Pilotprojekt begonnen. Drei Turopolje-​Schweine haben dort in Diensten des Naturschutzes ihr neues Refugium bezogen. Die selber vom Aussterben bedrohten Schweine sollen Lebensraum für Kreuzkröten und Gelbbauchunken sichern.

Warum Schweine für Kröten und Unken im Einsatz stehen und weshalb aus einem ehemaligen Schlammweiher ein ökologisch wertvoller, biodiverser Lebensraum geworden ist, beginnt mit dem Abbau von Kies in Menzingen und Neuheim. Die beiden Gemeinden liegen in einer glazial geprägten Moränenlandschaft. Die Gletscher hinterliessen vor Zehntausenden Jahren die «Höger», wie die Zuger die malerischen Moränenhügel oder «Drumlins» nennen, die sich im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) befinden.

Stark bedrohte Pionierarten

Im Gebiet Bethlehem in Edlibach wird seit Mitte des letzten Jahrhunderts Kies abgebaut, den dort die Gletscher in riesigen Mengen abgelagert haben. Durch die Abbautätigkeit entstehen als Nebenprodukt stets offene, steinige Böden mit spärlich lückenhafter Vegetation, sowie kaum bewachsene und teilweise austrocknende Kleingewässer. Man spricht dabei von Pionier-​ oder Ruderal-​Lebensräumen. Natürlicherweise findet man diese nach Hochwasserereignissen in dynamischen unverbauten Gewässersystemen ‒ meist im Bereich von Flüssen. Heutzutage kommen diese Lebensräume in der Schweiz kaum noch vor. Entsprechende Pionierarten, die nach einem Überschwemmungsereignis das Gebiet als erste wieder besiedeln, kommen oftmals nur noch in Kiesabbaugebieten vor und leben so in einem künstlich geschaffenen Ersatzlebensraum, der ähnliche ökologische Nischen bietet. Die allermeisten dieser Pionierarten sind stark vom Aussterben bedroht.

Obligatorische Ausgleichsflächen

Alle Kiesgrubenbetreiber müssen neben Abbaubereichen innerhalb des Werkareals auch jederzeit sogenannte Flächen für den ökologischen Ausgleich bereitstellen. Die Flächen weisen oft auch für Pionieramphibien wie zum Beispiel die Gelbbauchunke oder die Kreuzkröte wichtige Tümpel auf. Damit die Anliegen der tierischen Kiesgrubenbewohner mit den betrieblichen Anliegen des Werkbetreibers koordiniert werden können, gibt es in den Kiesgruben sogenannte ökologische Begleitgruppen. Ein- bis zweimal jährlich wird zwischen dem Werkbetreiber, dem Landwirt, den Nichtregierungsorganisationen und Behörden ausgehandelt, wie die unterschiedlichen Bedürfnisse aufeinander abgestimmt werden können. Die Akteure der Begleitgruppe handeln auch gemeinsam im Detail aus, wie und wo die dauerhaft zu erhaltenden ökologischen Ausgleichsflächen gemäss Gestaltungsplan auch nach Abschluss des Werkbetriebs ausgestaltet werden sollen.Schweine statt Bagger

Eintrag im Bundesinventar

Im Fall der Kiesgrube Bethlehem wurde im Bereich des ehemaligen Schlammweihers, wo bis 2016 nicht standfestes Material abgelagert wurde, eine Ausgleichsfläche geplant, die hohen Anforderungen bezüglich Biodiversität genügen soll. Um den langfristigen Nutzen der Massnahmen sicherzustellen, enthielt die Planung integral auch ein Pflegekonzept. Im Fokus der Lebensräume standen die erwähnten stark bedrohten Amphibienarten. Das Gebiet ist im Bundesinventar der Amphibienlaichgebiete von nationaler Bedeutung enthalten. Anders als man vermuten würde, ist für die meisten Amphibien der sogenannte Landlebensraum um die Gewässer genauso entscheidend, wie die Gewässer selber. Im Fall der Gelbbauchunken und Kreuzkröten bedeutet dies: Sie brauchen schotterige, wenig bewachsene Böden mit wenig Vegetation, sowie viele Unterschlupfmöglichkeiten.

Von Gehölzen überwachsen

Zwar wird der ehemalige Schlammweiher bei Starkniederschlägen nach wie vor mit zulaufendem Oberflächenwasser aus dem umgebenden Kiesabbauareal geflutet. Diese Dynamik reicht aber nicht aus, um die Lebensräume mittel-​ und langfristig als Pionierlebensraum zu erhalten. Die natürliche Sukzession würde aus den kaum bewachsenen Ruderalstandorten innert weniger Jahre mit Schilf-​ und Rohrkolben zugewachsene Weiher, sowie allmählich mit Wiesengesellschaften und Gehölzen überwachsene Böden schaffen. Um dem Entgegenzuwirken und die Pionierlebensräume zu erhalten, kann der Vegetationsbewuchs alle zwei bis drei Jahre maschinell entfernt werden. Solange Baumaschinen aufgrund des Abbaubetriebs in unmittelbarer Nähe sind, ist dies ein gangbarer Weg. Mittelfristig aber aufwendig und nicht naturnah.

Schweine statt Bagger

Hier kommen Schweine ins Spiel: Sie haben einen angeborenen Wühltrieb, um im Boden nach Nahrung zu suchen. Sie machen also faktisch genau das, was ein Bagger auf einer zusehends überwachsenen Pionierflächen tun würde: Nämlich die Vegetation entfernen und durch die Wühltätigkeit die Sukzession wieder annähernd auf den Ausgangszustand zurücksetzen und so offene, wenig bewachsene Böden zurücklassen. Um auch die Gewässer weitestgehend vegetationsfrei halten zu können, bedarf es allerdings einer Schweinerasse, die an überschwemmte Gebiete angepasst ist und schwimmen kann. Hier ist das Amt für Raum und Verkehr (ARV) auf die selber vom Aussterben bedrohte Nutztierrasse der Turopolje-​Schweine gestossen, die ursprünglich aus den Save-​Auen Kroatiens stammt.

Kantonales Naturschutzgebiet

Mit dem Pilotprojekt soll nun untersucht werden, ob die gesetzten Ziele erreicht werden können. Das Projekt wird landwirtschaftlich lokal betreut, ist gut in Menzingen verankert und wird von einem Ökobüro begleitet, das die Bestandesentwicklung von Flora und Fauna dokumentiert. Sollte das Projekt von Erfolg beschieden sein, ist eine Ausweitung auf andere Gebiete im Kanton Zug denkbar, da verschiedene Kiesgruben in den kommenden Jahren fertig aufgefüllt respektive zumindest teilweise rekultiviert sein werden. Der visionäre Weg soll wertvolle Pionierlebensräume langfristig erhalten sowie einen Beitrag zum Erhalt der Turopolje-​Schweine und deren Genpool beitragen. Die drei Weideschweine leben in Edlibach naturnah, artgerecht und ihnen steht eine grosse Fläche zur Verfügung, erklärt Stefan Rey, Projektleiter beim ARV. «Um die vorgenannten Ziele erreichen zu können und den hohen ökologischen Wert des Areals zu sichern, soll mittelfristig ein kantonales Naturschutzgebiet ausgeschieden werden.» Damit solle auch der Anforderung des Bundes genüge getan werden, Amphibienlaichgebiete von nationaler Bedeutung zu sichern», führt Rey weiter aus und sagt: «Um störungsanfällige Arten zu schonen, darf die Fläche bereits heute nicht betreten werden. Eine entsprechende Informationstafel auf dem Areal weist entsprechend darauf hin.»

Bildlegende

Baudirektor Florian Weber ist von den drei Turopolje-​Schweine höchst angetan, die im ehemaligen Schlammweiher der Kibag AG in Edlibach als Naturschützer im Einsatz sind.

Kontakt

Charly Keiser

Kommunikationsbeauftragter
Baudirektion

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