Verständnis fördern
Mit einer internen Weiterbildung wurden die Mitarbeitenden der Sozialen Dienste Asyl auf das Thema interkulturelle Sensibilisierung geschult. Organisiert und durchgeführt wurden die Kurse von der Expertin Yvonne Mandri-Bossart, die beim kantonalen Sozialamt tätig ist.
Yvonne Mandri-Bossart, was ist interkulturelle Sensibilisierung?
Wenn verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, kann dies auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu Konflikten oder Missverständnissen führen. Interkulturelle Sensibilisierung ist die Fähigkeit, solche potenziellen Probleme zu identifizieren und ihnen vorzubeugen. Man könnte es auch als «kulturell kompetent sein» bezeichnen.
Was ist das Ziel der Kurse?
Gemäss der Redewendung «andere Länder, andere Sitten» gibt es in den verschiedenen Kulturen ganz unterschiedliche Verhaltensweisen. Gerade bei den Sozialen Diensten Asyl treffen Menschen aus allen Kulturkreisen aufeinander. Was für die einen selbstverständlich ist, ist den anderen vielleicht nicht bewusst. Durch die Kurse sollen die Mitarbeitenden Werkzeuge auf den Weg bekommen, um Situationen besser einschätzen, richtig darauf reagieren und so positiv beeinflussen zu können. Diese Fähigkeiten sind gerade für Mitarbeitende, die im direkten Kontakt mit Klientinnen und Klienten stehen, sehr wichtig.
Wie ist die Idee für die Kursreihe entstanden?
Es gibt das kantonale Integrationsprogramm (KIP). Dieses wird vom Bund organisiert und beinhaltet verschiedene Massnahmen zur Integrationsförderung. Eine davon ist die Schulung der Verwaltungsstellen im Thema Interkulturelle Sensibilisierung. Einen besonderen Handlungsbedarf bestand in diesem Zusammenhang bei der Abteilung Soziale Dienste Asyl, wo Personen aus dreissig Nationen zusammenkommen. Weil ich neben meiner Arbeit beim Kanton genau in diesem Bereich tätig bin und Weiterbildungen für Grossunternehmen, Hochschulen und für Privatpersonen leite, wurde ich mit der Organisation und Umsetzung der Kurse beauftragt.
Weshalb ist die Sensibilisierung auf das Thema besonders im Asylbereich so wichtig?
Weil hier so viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen zusammenkommen. Durch das Training erhalten die Mitarbeitenden ein Verständnis für kulturelle Unterschiede und Werkzeuge, die sie im Alltag anwenden können. Das Ziel der Sozialen Dienste Asyl ist es, dass sich die Klientinnen und Klienten so schnell wie möglich integrieren können.
Können Sie ein Beispiel machen, bei dem ein kulturelles Missverständnis deutlich wird?
Ein häufiges Missverständnis ist das Thema Pünktlichkeit. Als Schweizer ärgern wir uns, wenn vereinbarte Termine nicht eineingehalten werden. In meiner Arbeit habe ich kulturelle Missverständnisse erforscht und festgestellt, dass es verschiedene Indikatoren gibt, die unser Verhalten beeinflussen. In der Schweizer Kultur ist zum Beispiel die Kontrolle der Umwelt sehr wichtig. Regeln, Strukturen und Vorschriften geben uns ein Gefühl von Sicherheit, Vorsehbarkeit und Verlässlichkeit. Damit wir diese Kontrolle wahrnehmen können, ist politische und wirtschaftliche Stabilität wichtig. Etwas, was in vielen anderen Ländern fehlt. Für eine Person, die aus einem Land kommt, in dem sie täglich politische Willkür erlebt, ist Ungewissheit ein tägliches Problem. Verbindlichkeit und Kontrolle sind ihr fremd und benötigen daher auch keinen Effort. Deshalb haben gewisse andere Kulturen in der Schweiz vielleicht Mühe beim Einhalten von Terminen oder Regeln.
Welche Themen werden in Ihren Kursen behandelt?
In den Schulungen haben wir uns vor allem mit den eben erwähnten Indikatoren befasst und eine von mir entwickelte Methode zur Kulturkonflikt-Identifizierung kennengelernt. Gemeinsam wurden neun Indikatoren analysiert, die das eigene Verhalten beeinflussen. Dazu gehören Kontrolle der Umwelt, die Einstellung zur Zeit, die Einstellung zu Verträgen und Vereinbarungen, materielle Besitztümer, die Wahrnehmung von Macht, der Führungsstil, Einzel- vs. Gruppenverhalten, persönlicher Freiraum sowie die emotionale Manifestation. Rollenspiele, Gruppengespräche und Fallstudien sorgten für dynamischen Gesprächsstoff. Besonders das Aufzeigen der Diskrepanzen zwischen der Schweizer Kultur und anderen Kulturen sorgte bei den Teilnehmenden immer wieder für humorvolle Momente.
Wie viele Kurse wurden geplant?
Bei den Sozialen Diensten Asyl wurden vom Oktober 2023 bis Februar 2024 acht Kurse mit rund achtzig Teilnehmenden durchgeführt. Mit dabei waren Mitarbeitende der gesamten Abteilung Soziale Dienste Asyl. Zum Zielpublikum gehörten Betreuungspersonen der sechs Asylunterkünfte, Sozialarbeitende sowie Führungspersonen. Die Personen deckten insgesamt dreissig kulturelle Herkünfte und Hintergründe ab. Eine grossartige Ausgangslage für spannende Diskussionen und Erfahrungsaustausch! Ich könnte mir vorstellen, dass die Schulungen zu einem späteren Zeitpunkt auch für andere Ämter und Direktionen wie zum Beispiel die Sicherheits-, Volkswirtschaftsdirektion oder die Direktion für Bildung und Kultur interessant sein könnten.
Was macht Ihnen besonders Freude als Kursleiterin?
Interkulturelle Sensibilisierung ist für mich eine Herzensaufgabe. Ich schätze es, wenn ein dynamischer Austausch zum Thema entsteht, und lerne auch immer wieder Neues aus den Erfahrungen der Teilnehmenden.
Wie könnte die Zuger Verwaltung von interkultureller Sensibilisierung profitieren?
Der Kanton Zug ist sehr international ausgerichtet. Es ist wichtig, Verständnis aufzuzeigen für kulturelle Unterschiede und Massderen Wahrnehmungen. So können das Zusammenleben, die Zusammenarbeit und die Eingliederung in unseren Kanton, unser Land verbessert werden.
Über Yvonne Mandri-Bossart
Nach über 25 Jahren im Ausland lebt Yvonne Mandri-Bossart heute in Zug. Sie arbeitete und lebte in acht Ländern, auf drei Kontinenten und erlebte beruflich sowie privat eine Vielzahl unterschiedlicher Kulturen. Bereits während ihres MBA-Studiums und der späteren Doktorarbeit in Sozialwissenschaften hat sie sich intensiv mit der kulturellen Kompetenz auseinandergesetzt. Neben ihrer Tätigkeit beim Kanton bietet sie mit ihrer Firma Kurse an für interkulturelle Kompetenz und Coaching sowohl für das berufliche als auch das persönliche Umfeld.
Text: Jeannine Lütolf // Bild: Nora Nussbaumer
Dieser Artikel erschien zum ersten Mal in der «Personalziitig» des Kantons Zug, Ausgabe Nr. 106, März 2024.
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