Prozessieren vor dem Kantonsgericht
Nach einem erfolglosen Schlichtungsverfahren – oder in gewissen Fällen auch direkt ohne ein solches – können zivilrechtliche Streitigkeiten im Kanton Zug dem Kantonsgericht als erstinstanzlichem Zivilgericht unterbreitet werden.
Einleitung des Verfahrens
Das Verfahren vor dem Kantonsgericht wird mit einer Klage oder einem Gesuch eingeleitet. Dabei sind gewisse formelle und inhaltliche Voraussetzungen zu beachten.
Ablauf des Verfahrens vor Kantonsgericht
Es gibt drei verschiedene sog. Verfahrensarten, nach denen ein Zivilprozess vor dem erstinstanzlichen Gericht behandelt werden kann: das ordentliche, das vereinfachte und das summarische Verfahren. Für jede dieser Verfahrensarten gelten leicht unterschiedliche Regeln und Abläufe, die nachfolgend etwas näher umschrieben werden.
Welches Verfahren auf einen konkreten Fall angewendet wird, hängt einerseits vom Streitwert ab (d. h. vom Wert der umstrittenen Sache bzw. von der Höhe der umstrittenen Summe). Aber auch der Inhalt der Klage oder des Gesuchs kann eine Rolle spielen.
Ordentliches Verfahren
Das ordentliche Verfahren ist der Normalfall. Dieses Verfahren ist immer dann anwendbar, wenn das Gesetz nicht ausnahmsweise das vereinfachte oder das summarische Verfahren für anwendbar erklärt.
Zivilrechtliche Streitigkeiten im ordentlichen Verfahren werden in Zug jeweils von drei Richterinnen und Richtern entschieden (sog. Kollegialgericht).
Der Ablauf des ordentlichen Verfahrens kann je nach den konkreten Umständen recht unterschiedlich sein. Die Zivilprozessordnung (ZPO) überlässt der verfahrensleitenden Richterin oder dem verfahrensleitenden Richter (sog. Referentin/Referent) hier einen gewissen Spielraum, um den konkreten Gegebenheiten im Einzelfall gerecht zu werden.
Üblicherweise gilt jedoch folgender Ablauf:
Nach Eingang der Klage beim Gericht erhalten beide Parteien in der Regel eine Mitteilung, dass die Klage eingegangen ist, und die klagende Partei wird zur Leistung eines Kostenvorschusses in der Höhe der mutmasslichen Gerichtsgebühr aufgefordert. Dieser Kostenvorschuss muss zwingend bezahlt werden, andernfalls das Gericht auf die Klage gar nicht erst eintritt. Danach wird die Klage der Gegenpartei zugestellt, die dann schriftlich dazu Stellung nehmen muss (sog. Klageantwort; Klageschrift und Klageantwort werden zusammen als erster Schriftenwechsel bezeichnet).
Danach gibt das Gericht möglicherweise noch einmal beiden Parteien die Gelegenheit zu einer weiteren schriftlichen Stellungnahme (sog. zweiter Schriftenwechsel). Es ist aber auch möglich, dass schon nach dem ersten Schriftenwechsel eine Verhandlung angesetzt und/oder Beweismittel abgenommen werden, d. h. das Gericht befragt die Parteien sowie allfällige Zeugen, nimmt einen Augenschein vor Ort vor oder holt ein Gutachten über eine strittige Frage ein (z. B. ob ein bestimmter Baumangel vorliegt).
Kommt das Gericht zum Schluss, dass keine weiteren Beweise abgenommen werden müssen, gibt es den Parteien noch einmal Gelegenheit, zum Ergebnis der Beweisabnahme Stellung zu nehmen (sog. Schlussvorträge). Danach fällt das Gericht das Urteil, das den Parteien in der Regel schriftlich und begründet zugestellt wird.
Die Referentin oder der Referent kann den Parteien grundsätzlich auch jederzeit entweder schriftlich oder mündlich im Rahmen einer sog. Instruktionsverhandlung einen Vergleichsvorschlag unterbreiten, d. h. einen Vorschlag zur einvernehmlichen Beilegung des Streits. Sind beide Parteien mit dem Vorschlag einverstanden, so findet das Verfahren damit bereits ein Ende.
Im ordentlichen Verfahren tragen die Parteien in der Regel die volle Verantwortung dafür, dass sie dem Gericht die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützen, umfassend darlegen, sämtliche massgebenden Beweismittel angeben und all dies auch rechtzeitig tun. Das Gericht darf den Parteien im ordentlichen Verfahren auch nicht mehr und nichts anderes zusprechen, als sie verlangen. Es handelt sich um eine relativ formalistische Verfahrensart. Verfahren, die nach den Regeln des ordentlichen Verfahrens durchgeführt werden, sind deshalb für juristisch unerfahrene Personen besonders hürdenreich. Vermeidbare Fehler können zum unumkehrbaren Verlust eines Anspruchs führen. Deshalb empfiehlt es sich, in diesen Fällen eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt beizuziehen.
Vereinfachtes Verfahren
Das vereinfachte Verfahren gilt für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 30’000 Franken sowie in einzelnen besonders im Gesetz bezeichneten Verfahren, darunter namentlich beim Kündigungsschutz im Mietrecht, bei der Anfechtung missbräuchlicher Miet- und Pachtzinsen oder der Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen.
Das vereinfachte Verfahren stellt geringere Anforderungen an die Parteien und weist im Gegensatz zum ordentlichen Verfahren einen vereinfachten Ablauf auf. Es ist so konzipiert, dass es auch von juristischen Laien ohne anwaltlichen Beistand soll bewältigt werden können.
Im Unterschied zum ordentlichen Verfahren kann im vereinfachten Verfahren die Klage auch ganz ohne jede Begründung eingereicht werden (die anderen inhaltlichen Anforderungen gelten uneingeschränkt). In diesem Fall erfolgt eine sofortige Vorladung zur Hauptverhandlung, an der die Parteien ihre Standpunkte direkt mündlich vortragen können.
Summarisches Verfahren
Die Fälle, in denen das summarische Verfahren anwendbar ist, sind in den Art. 248–251 ZPO aufgelistet. Allerdings ist diese Auflistung nicht abschliessend, d. h. es gibt darüber hinaus noch weitere Fälle, in denen dieses Verfahren anwendbar ist. In der Praxis am häufigsten sind folgende Fälle:
- vorsorgliche Massnahmen
- Eheschutzmassnahmen (Regelung des Getrenntlebens von Ehepaaren)
- Rechtsöffnung
- gerichtliches Verbot
- Rechtsschutz in klaren Fällen, z.B. Mieterausweisung
All diesen Verfahren ist gemeinsam, dass der möglichst rasche Entscheid im Zentrum steht. Entsprechend unterscheidet sich das summarische Verfahren vom vereinfachten und ordentlichen Verfahren im Wesentlichen durch verschiedene verfahrensbeschleunigende Änderungen: So ist etwa kein vorgängiger Schlichtungsversuch erforderlich und der Beweis ist grundsätzlich mittels Urkunden (d. h. schriftlicher Dokumente, die direkt vorgelegt werden können) zu erbringen, womit ein aufwendiges Beweisverfahren entfällt.
Gleichzeitig sind die Anforderungen an den Beweis der behaupteten Tatsachen im summarischen Verfahren herabgesetzt: Der Sachverhalt muss in der Regel nur glaubhaft gemacht werden (Ausnahme: Rechtsschutz in klaren Fällen). Das heisst, dass der Richter von den behaupteten Tatsachen nicht vollständig überzeugt zu sein braucht, aber genügend Anhaltspunkte vorliegen müssen, welche die Behauptungen des Gesuchstellers wahrscheinlich erscheinen lassen.
Umgekehrt gilt die Regel aus dem ordentlichen und dem vereinfachten Verfahren, wonach die Parteien das Recht haben, sich zweimal uneingeschränkt zur Sache zu äussern, im summarischen Verfahren nicht. Hier haben die Parteien keinen Anspruch auf einen zweiten Schriftenwechsel oder eine mündliche Hauptverhandlung. Die Einzelrichterin oder der Einzelrichter entscheidet frei, ob sie bzw. er den Parteien eine solche zweite Äusserungsmöglichkeit gibt oder nicht. Die Parteien dürfen demnach nie damit rechnen, dass sie sich noch ein zweites Mal äussern können.
Besondere familienrechtliche Verfahren
Für die familienrechtlichen Verfahren sieht die ZPO besondere Verfahrensbestimmungen vor, welche den übrigen Verfahrensbestimmungen vorgehen.
Besondere zivilrechtliche Verfahren
Darüber hinaus gibt es einige Verfahren, die in der Praxis häufig vorkommen und die teilweise besonderen Regeln folgen. Zu diesen Verfahren stellen wir unter nachfolgendem Link weitergehende Informationen zur Verfügung. Es sind dies:
- Ausschlagung der Erbschaft
- Gerichtliches Verbot
- Mieterausweisung
- (Vorläufige) Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts
- Kraftloserklärung Wertpapier
- Vorsorgliche Beweisführung
- Wiedereintragung einer im Handelsregister gelöschten Rechtseinheit
Fristen im Zivilprozess
Viele Handlungen im Zivilprozess sind frist- und termingebunden. Das Verpassen einer Frist kann zur Folge haben, dass Sie den Prozess verlieren.
Fristen, die durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen. Berechnet sich eine Frist nach Monaten, so endet sie im letzten Monat an dem Tag, der dieselbe Zahl trägt wie der Tag, an dem die Frist zu laufen begann. Fehlt der entsprechende Tag, so endet die Frist am letzten Tag des Monats. Fällt der letzte Tag einer Frist auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen am Gerichtsort vom Bundesrecht oder vom kantonalen Recht anerkannten Feiertag, so endet sie am nächsten Werktag.
Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist beim Gericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden. Bei elektronischer Einreichung ist für die Wahrung einer Frist der Zeitpunkt massgebend, in dem die Quittung ausgestellt wird, die bestätigt, dass alle Schritte abgeschlossen sind, die auf der Seite der Partei für die Übermittlung notwendig sind.
Gewisse Fristen können verlängert (sog. erstreckt) werden, wenn die Zeit aus irgendwelchen konkreten Gründen (z. B. Krankheit, Ferienabwesenheit o.ä.) nicht ausreicht. Dazu ist erforderlich, dass Sie umgehend, jedenfalls aber vor Ablauf der Frist, ein entsprechendes Gesuch an das Kantonsgericht stellen (sog. Fristerstreckungsgesuch). Im Gesuch müssen Sie darlegen, aus welchen Gründen die Frist für die zu erledigende Handlung nicht ausreicht und diese Gründe soweit möglich auch belegen. Idealerweise geben Sie im Gesuch auch an, wie viel zusätzliche Zeit Sie voraussichtlich benötigen.
Erstreckbar sind grundsätzlich alle gerichtlichen Fristen. Das sind diejenigen Fristen, mit denen das Gericht den Parteien Zeit zur Vornahme bestimmter prozessualer Handlungen ansetzt (z. B. die Frist zur Einreichung der Klageantwort).
Gewisse Fristen können hingegen nicht erstreckt werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Frist konkret im Gesetz genannt wird (sog. gesetzliche Fristen). Um eine gesetzliche Frist handelt es sich beispielsweise bei der 30-tägigen Frist zur Einreichung einer Berufung nach der Zustellung des kantonsgerichtlichen Entscheids.
Sowohl gesetzliche als auch gerichtliche Fristen stehen während den sog. Gerichtsferien still. Dieser Fristenstillstand gilt hingegen nicht für das Schlichtungsverfahren sowie das summarische Verfahren. Abweichende Fristenstillstände existieren überdies im Bereich des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts.
Im kantonalen Verfahren dauern die Gerichtsferien wie folgt:
- Vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern
- Vom 15. Juli bis und mit dem 15. August
- Vom 18. Dezember bis und mit dem 2. Januar
Für das Verfahren vor dem Bundesgericht gelten abweichende Fristenstillstände.
Berechnungsbeispiel
Am 11. Juli 2022 empfängt der Beklagte ein Schreiben des Gerichts, wonach er innert 30 Tagen Stellung zur Klage zu nehmen solle. Die Frist beginnt am nächsten Tag und damit am 12. Juli zu laufen. Am 10. August würde die 30-tägige Frist – ohne Fristenstillstand – ablaufen. Vom 15. Juli bis 15. August steht die Frist allerdings still und beginnt daher erst wieder am 16. August zu laufen. Die Frist endet damit am 11. September 2022. Da der 11. September 2022 ein Sonntag ist, endet die Frist am Montag, 12. September 2022, als nächstem Werktag.
Da es sich um eine gerichtliche Frist handelt, könnte diese zudem in begründeten Fällen erstreckt werden.
Kinder im Zivilprozess
Regelmässig kommt es vor, dass auch Kinder direkt oder indirekt an Gerichtsverfahren beteiligt sind. Die Zuger Justiz legt Wert darauf, den Interessen dieser Kinder im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bestmöglich Rechnung zu tragen.
Kosten im Zivilverfahren
In den meisten Fällen sind die Prozesskosten im Zivilverfahren von der unterliegenden Partei zu bezahlen. Sie umfassen einerseits die Gerichtskosten, andererseits eine Parteientschädigung für die Gegenpartei, wenn diese anwaltlich vertreten war.
Die Gerichtskosten für ein Zivilverfahren richten sich im Kanton Zug nach der Verordnung über die Kosten in der Zivil- und Strafrechtspflege (KoV OG). Sie setzen sich aus der Gerichtsgebühr sowie allfälligen Auslagen des Gerichts (z. B. für eine Übersetzung) zusammen.
Die Gebühr wird auf der Grundlage des Streitwerts, der Bedeutung des Falls und des Zeitaufwands sowie der Schwierigkeit des Falls nach einem bestimmten Tarif festgesetzt. Für vermögensrechtliche Streitigkeiten im ordentlichen und vereinfachten Verfahren beträgt die Grundgebühr zwischen 100 Franken (für einen Fall mit einem Streitwert bis 1000 Franken) und 60’000 Franken (für einen Fall mit Streitwert von 5 Mio. Franken). Ist der Streitwert höher als 5 Mio. Franken, ist die Grundgebühr entsprechend höher. Bei nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten beträgt die Entscheidgebühr 150 bis 12’000 Franken. Im summarischen Verfahren wird die Gebühr in der Regel auf einen Drittel bis drei Viertel reduziert.
Für Scheidungsverfahren und Verfahren betreffend Auflösung und Ungültigkeit der eingetragenen Partnerschaft beträgt die reguläre Entscheidgebühr 1600 bis 10’000 Franken.
Diese Grundgebühr kann in besonders umfangreichen oder schwierigen Fällen bis auf das Doppelte des jeweils anwendbaren ordentlichen Höchstansatzes, in Ausnahmefällen auch um mehr, erhöht werden.
Dieselben Ansätze und Bemessungsgrundlagen gelten für ein allfälliges Rechtsmittelverfahren.
Die Parteientschädigung richtet sich nach der Verordnung über den Anwaltstarif (AnwT) und wird ausgehend von einem dort enthaltenen Tarif grundsätzlich nach denselben Kriterien festgesetzt wie die Gerichtsgebühr: Streitwert, Schwierigkeit des Falles und Umfang bzw. Art der angemessenen Bemühungen.
Das Grundhonorar für Rechtsanwälte beträgt nach diesem Tarif mindestens 200 Franken (für einen Fall mit Streitwert bis 5000 Franken) und höchstens 106’400 Franken zzgl. 0,5 % des 10 Mio. Franken übersteigenden Streitwerts (für einen Fall mit Streitwert über 10 Mio. Franken). Sind keine vermögensrechtlichen Interessen im Streit, so beträgt das Grundhonorar 1000 bis 15’000 Franken. Im summarischen Verfahren beträgt das Grundhonorar in der Regel ein Fünftel bis ein Zweitel dieses Grundhonorars oder ein Viertel bis drei Viertel in eherechtlichen Verfahren, bei Kinderbelangen in familienrechtlichen Angelegenheiten sowie bei eingetragener Partnerschaft.
Erhöhungen und Ermässigungen dieses Grundhonorars sind aus zahlreichen Gründen möglich.
Im Rechtsmittelverfahren dürfen grundsätzlich ein Drittel bis zwei Drittel des Grundhonorars berechnet werden, unter Berücksichtigung des noch in Betracht kommenden Streitwertes.
Zur Grundgebühr hinzugerechnet werden die Mehrwertsteuer (sofern rechtzeitig beantragt [spätestens in der zweiten Stellungnahme] und sofern sie tatsächlich anfällt) sowie die Auslagen.
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